In der Bibliothek
- eine kurze Geschichte -
Was soll das? Das letzte Mal sollte ich in der Schule vor gut 30 Jahren einen Text verfassen und vorgegebene Wörter benutzen. Ich habe das gehasst!!! Jetzt ist das hier eine Aufgabe in meinem Schreibstudium. Puuh!
Genervt fuhr ich vom Spind die Rolltreppe hoch, um mich in einen der Arbeitsräume der Bibliothek zu verkriechen. Meine linke Hand umklammerte den Flaschenhals meiner mich immer begleitenden Wasserflasche, während ich rechts meinen Block und mein Mäppchen trug.
Oh je – alle Räume waren besetzt!
Ich wendete mich in Richtung Informationsschalter.
Vor mir standen bereits zwei Frauen an.
Der Lichteinfall durch die Oberlichter der Bibliothek ließ goldene Flecken auf dem Haar der Bibliotheksangestellten tanzen. Sie wirkte sichtlich überfordert von dem Andrang von uns drei Frauen an ihrem Schalter, an dem normalerweise nichts los war. Neben ihr konnte man noch auf einem Teller eine angebissene Scheibe eines Honigbrotes sehen. Die Frau vor mir hatte Schuhe an, die ich immer als Klacker-Schuhe bezeichnete, weil sie auf harten Böden so herrlich klackern. Na ja, hier in der Bibliothek mit ihren geräuschdämpfenden Teppichen spielte das Schuhwerk eh keine Rolle, sonst wäre es eher unpassend gewesen. Und während ich noch auf die Schuhe starrte und vor mich hin sinnierte, bewegten sich die Schuhe. Die Dame war als nächste dran. Durch die Bewegung fiel mir erst ihre Geigentasche auf. Darin war bestimmt eine wunderschöne wertvolle Geige und ein mit Rosshaar bespannter Geigenbogen! Bestimmt will sie wissen, wo sie das gute Stück sicher aufbewahren kann.
„Guten Tag, ich Ludmilla Warskowski, ich soll spielen – wohin?“ hörte ich sie radebrechen. „Nein, nein. Da müssen Sie sich irren!“ sagte die Dame von der Information. „Wir sind die Stadtbibliothek! Wo wollen Sie den genau hin?“
Ludmilla kramte in ihrer Handtasche und zog ein verknittertes Papier vor, das sie der Bibliotheksangestellten hinhielt. Sichtlich erleichtert sagte diese zu Ludmilla: „Das ist eine Einladung im Museum gegenüber zu spielen! Der Bau ist ja sichelförmig gestaltet. Sie sind hier im falschen Teil der “Sichel“. Sie gehen zum Ausgang der Bibliothek zurück, und direkt gegenüber ist der Eingang des Museums und da fragen Sie nochmal!“
„Ich nix verstehen? Was?“
Die Bibliotheksangestellte schaute Ludmilla besorgt an und wiederholte das eben Gesagte ganz langsam.
Ludmilla wirkte zunehmend panisch „Was?“
„Mann“, stöhnte die Angestellte leise vor sich hin und murmelte: „Hätten die für die alljährliche Katzenmusik ihrer Weihnachtsfeier nicht jemand, der besser Deutsch versteht, verpflichten können?“ Sie setzte zu einer neuerlichen Erklärung an.
Ich hinderte Sie daran. „Entschuldigung, ich habe ihren Dialog mitbekommen. Was halten Sie davon, wenn ich die Dame an ihren Bestimmungsort bringe?“ fiel ich ihr ins Wort.
Die Bibliotheksangestellte atmete hörbar auf. „Das würden Sie tun? Vielen Dank!“ Dann wandte sie sich zu Ludmilla: „Andere Frau bringt sie! Mitgehen!“ und in meine Richtung: „Nochmal, vielen, vielen Dank!“
„Keine Ursache! Übrigens schönes Tannengrün. Das Weihnachtsgesteck auf ihrem Tisch gefällt mir. Es ist so stimmungsvoll!“, hörte ich mich ironisch sagen. Am liebsten nämlich hätte ich ihr entgegengeschleudert, dass ich auf ihr falsches, mir gegenüber buckelndes Verhalten verzichten konnte.
Ich schnappte Ludmillas Arm und brachte sie ins Museum.
Dankbar lächelte sie mich an.
Am Informationsschalter des Museums ging dann alles ganz schnell. Ein kleiner, dicker Herr mit Brille und einer großen Nase, durch die er mit einem schnarrenden Geräusch immer wieder Luft zog, sagte „Guten Tag Frau Warskowski! Schön, dass Sie da sind. Kommen Sie, wir sind knapp!“
Und schon eilten beide davon.
Ich blieb zurück. Eigentlich hatte ich von heute genug. Ich glaubte kaum, dass ich noch etwas vernünftiges zu Papier bringen würde. Vielleicht fuhr die Fähre vom Deutschen Eck hier um die Ecke noch und konnte mich nach Hause bringen? Ich sah immer so gerne, wie die Bugwelle den vorher ruhigeren Wasserspiegel aufwühlten. Das wäre heute mein richtiges Plus.
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